CARL LEBERECHT IMMERMANN
(1796-1840)

IMMERMANN im INTERNET






Stimmen zu Immermann

[1838/1839] Es war ein breitschulteriger untersetzter Mann, dieser Fremde im braunen Oberrock, der seinen Wanderstock bei jedem Schritte mit Energie auf die Erde stieß. Er besaß eine große Nase, eine markierte Stirn, deren Protuberanzen jedoch mehr Charakter als Talent anzeigten und einen feingespaltenen Mund, um den sich ironische Falten wie junge spielende Schlangen gelagert hatten, die jedoch nicht zu den giftigen gehörten. Seine Augen wurden in den Reisepässen gewöhnlich als graue bezeichnet. Sie lagen auch wirklich wie hellgraue Perlhühner in ihren Höhlen unter Brauen eingewühlt, die trockenem gelbbräunlichem Reisig glichen. [...] Nicht allein in dem Antlitze dieses Mannes, der nach seinem Habitus ein Vierziger zu sein schien, sondern überhaupt in seinem gesamten Wesen war eine eigene Mischung von Stärke, selbst Schroffheit, mit Weichheit, die hin und wieder in das Weichliche überging, sichtbar. (Selbstporträt Immermanns in: "Münchhausen. Eine Geschichte in Arabesken", 6. Buch, 5. Kapitel)

[1839] Der Verfasser der "Epigonen" ist ein Epigone. […] Carl Immermann ist kein Genie, aber ein Talent unstreitig vom ersten Range. […] mit seinem glänzenden Talente traf er in eine Zeit, die dessen Einseitigkeit durch große Inspirationen von außen nicht zu heben, die vielmehr nur, was schon in ihm vorwiegende Anlage war, schärfer herauszubilden vermochte. ([Anonym], in: Kölnische Zeitung vom 9. Februar 1839)

[1841] Das eigentliche Feld für Immermann war der Roman. In den weit gesteckten Gränzen dieser Dichtungsform konnte sein episches Wesen sich in voller Behaglichkeit ausdehnen, sein Humor flatterte spielend über die ganze Breite der Welt, er konnte alles, was er besaß: Witz, Satyre, sein persönlichstes Leben, an den Mann bringen; außerdem kamen ihm seine dramatischen Vorstudien zu Gute, daß er Charaktere von festem Guß, wie wenig Deutsche, hinstellen konnte. Schon die Epigonen sind ein großes Buch, in welchem nur die zwischen den Zeilen hervorsehende Erinnerung an ein größeres Urbild stört. Aber im Münchhausen ist die Emancipation des Schriftstellers vollendet, es ist Immermann selbst und allein, der dieses Werk, den besten Roman des Jahrzehends, geschrieben. (S. Matzerath: Rheinisches Jahrbuch. Zweiter Jahrgang. Köln a. Rhein 1841, S. 214)

[1841] Immermann war von mittler[er] Größe, eine gedrungene antike römische Gestalt, seine Stirn breit hoch und von keiner Runzel durchfurcht, von dem starken mächtig ins Graue spielende Haar nur wenig beschattet. Die lithograpirte Zeichnung welche von dem bekannten Maler Hildebrandt, einem Freunde Imermanns, herrührt, liefert das ähnlichste Conterfei, welches ich in meinem Leben gesehen […] In der That hatte Immermann viel Napoleonisches in seinem Gesicht, und noch oft glauben Leute, die mich besuchen, auf den ersten Anblick, den verstorbenen Exkaiser in dem hochseligen Dichter und Exlandgerichtsrath zu erkennen. Unendlich liebenswürdig war Immermann, wenn er so recht herzlich lachte, eine seltene Eigenschaft eines Lachers. Dieser Anblick allein war für mich so interessant, daß ich, trotz der Nähe des großen Mannes, vor Keinem meine humoristischen Schnurren besser vorgetragen zu haben glaube, als vor ihm. Sein Beifall war mir der eines ganzen Publikums. Immermanns Organ war, wie ich bemerkt habe, ungemein wohlklingend, ja beim Vorlesen das schönste was mein Ohr je vernommen; sein "G" hatte einen kleinen Anklang von J. Auffallend ist die große Ähnlichkeit desselben mit dem des bekannten Tieck, nur daß Immermann meines Wissens nie, wie dieser, die weiblichen Rollen mit nachgebildeter Diskantstimme vortrug. - (Theodor von Kobbe: Humoresken aus dem Philisterleben. Zweites Bändchen. Bremen 1841, S. 34-36)

[1843] Immermann hat in seinen beiden Romanen alle Bewegungen und Richtungen der Zeit abgespiegelt, und zwar in den Epigonen die ernsthaften und wichtigen, soweit sie sich fratzenhaft darstellen, im Münchhausen aber die fratzenhaften und nichtigen, die sich ernsthaft gebärden. (Friedrich Hebbel, Tagebuch 1843)

[1857] Immermann ist schon durch seine Individualität von seinen Vorgängern geschieden; eine starke, aber etwas herbe, durchaus oppositionelle Natur, wesentlich ein Verstandesdichter, der nicht ergötzen, sondern belehren will. Er stellt sich schon frühe - mehr infolge gelehrter Studien als innerer Nötigung - außerhalb der Romantik mit seinen Dramen unmittelbar auf Shakespeare, mit seinen Romanen auf Goethe [...] Aber zu scharfsichtig, um in der bloßen Opposition schon das positive Heil zu erblicken, und doch ohne die erforderliche eigne Produktionskraft, selbst neue Bahnen zu brechen, überkam ihn nach und nach eine allgemeine, oft ingrimmige Trostlosigkeit, als sei nun seit Goethe alles vorüber. Und in dieser natürlichen Verstimmung greift er, den Übergang zu der allerneuesten Literatur unwillkürlich vorbereitend, schon oft faktisch in die letztere hinüber, indem er jenen Übergang selbst, mit klarem, keinerlei Täuschung zugänglichem Bewußtsein zum Gegenstand seiner eigenen Dichtung macht. So in den "Epigonen", deren Held Hermann mit moderner Blasiertheit zwischen der unvereinbaren Vielheit und ratlosen Zerfahrenheit der neuen Zustände und Tendenzen irrwischartig hin und her geworfen wird. (Eichendorff: Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands, Eichendorff, Werke, Bd. 3, S. 897-898)

[1858] Geschmack finden konnte ich immer nur an denen Stellen, wo er [Immermann] westfälische Bauernhöfe etc. photographiert; sein Humor ist forciert, seine Ironie zu persönlich, um ewig zu gelten. Ich halte Immer-mann überhaupt für keinen wahren Humoristen, sondern nur einen ideenreichen, federgewandten, im übrigen bissigen und seiner Kunst bewußten Dilettanten. (Wilhelm von Merkel an Theodor Fontane, 13. Januar 1858)

[1858) Auch in bezug auf den "Münchhausen" [...] bin ich um ein paar Grade milder alsi Sie. [...] Was Immermann (den alten) abgeht, so kann ich nicht leugnen, daß er in der Sache gewöhnlich den Nagel auf den Kopf trifft und nur dadurch von Zeit zu Zeit langweilig wird, daß er auf den Nagel, bloß zu seiner eigenen Erbauung, noch los klopft, während dieser schon lange so tief sitzt, wie er nur sitzen kann. Es ist alles zu breit. Das soll "Behagen des Humoristen" sein, wird aber doch oft Ledernheit des Philisters. (Theodor Fontane an Wilhelm von Merckel, 18. Februar 1858)

[1881] [...] a propos Romane, kennen Sie ein älteres Buch Immermanns "Epigonen"? Das ist geradezu ein Meisterstück. (Conrad Ferdinand Meyer an Hermann Lingg, 14. März 1881)

[1912] Die kleineren Erzählungen [Immermanns] sind unter den schwächern seiner Arbeiten; die Romane sind groß angelegt und von einem seltenen Reichtum des Geistes, Kraft, Zartheit, eindringendem Weltverstand, Übersicht, Lauterkeit; er suchte einen Übergang herzustellen: die Anfänge dessen, was unserer damals beginnenden Zeit den Stempel aufdrückte, des Fabrikwesens, des alles überwuchernden Geldwesens, stellte er hin und zeigte das deutsche Seelenhafte im Kampf damit. Dem einen großen Roman ist die westfälische Dorfschulzengeschichte eingeflochten, diese herauszureißen erschien mir frevelhaft; manche habens getan, doch wer es nachtut, bezeigt, daß ihm keine Ehrfurcht innewohnt [...] (Hugo von Hofmannsthal: Deutsche Erzähler, in: Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka, S. 93889; vgl. Hofmannsthal-RuA 1, S. 425)

[1915] Recht einsam steht ein großer komischer Roman für sich, der "Münchhausen" von Immermann. Der "Oberhof" hat sich als ein willkürlich ausgebrochenes Stück daraus gerettet; er macht dem Gabzen zwar Ehre, gibt aber gar kein Bild davon. Wir haben außer Jean Paul so wenig große humoristische Erzähler [...], daß wir eine solche Rarität nicht untergehen lassen sollten. Der Münchhausen, ein Enkel des alten Lügenbarons, ist nicht bloß witzig, er ist wirklich komisch und entfaltet ein so vielfaches Weltbild, daß er trotz einiger Längewohl eine Reihe von Leseabenden lohnt. (Hermann Hesse, "Deutsche Erzähler", 1915)

[1930] Ich muss meine Hamburger Rede über Immermann diktiren und lese dazu wieder seine Opera: er ist ein herrliches Muster des Manns der alle Gaben und Kräfte hat, ohne die Gnade [...] den Kampf zwischen Bildung, Genie und Charakter - zwischen Romantik, Preussen und Anhub der Zweckwelt kann man fast chemisch rein bei ihm nachweisen. (Friedrich Gundolf an Karl Woflskehl, 15. September 1930)

[1946] Las auch Immermanns für die Gräfin Ahlefeldt geschriebnes Tagebuch aus Weimar vom Jahre 1838 mit wirklichem Schauder. Ganz meisterhaft schildert er das Gespenstische jener immer noch um Goethe kreisenden Menschen: Eckermann, Riemer, die Großherzogin, Minister von Fritsch und anderen. Als hielte sie ein Verhängnis zusammen. Hat wohl je ein Mensch, ohne so im mindesten darauf aus zu sein, etwas so Religionsähnliches gestiftet? [...] Thomas Mann muß dies Tagebuch für seine Lotte in Weimar bemnutzt haben. Eigentlich ist der tatsächliche Bericht von Immermann viel unmittelbarer und erregender als Thomas Manns Roman. (Werner Vordtriede, Tagebuchnotiz, 1946)

[1968] Was ist von Karl Immermann geblieben? Die Erinnerung an einen aufrechten, streitbaren deutschen Dichter, der in manchem seiner Lebensumstände und Charakterzüge ein Lessing des neunzehnten Jahrhunderts war. Dem Theater gab er neue Impulse, indem er als Intendant und Dramaturg der Düsseldorfer Bühne, der Goetheschen Tradition folgend, sich im Spielplan und in der Aufführungspraxis gegen den Tiefstand im Theaterwesen der Zeit zur Wehr setzte. Er trat auf das Podium der Zeitkritik mit seiner Streitschrift für Goethes Roman "Wilhelm Meisters Wanderjahre". Er gehörte zu den ersten, die sich für Heinrich Heine erklärten [...]. Mit seinen beiden Romanen wurde Karl Immermann ein Dichter von nationalem Rang. Die "Epigonen" eröffneten seine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen der zwanziger und dreißiger Jahre in Deutschland und trugen dazu bei, deren ideologische Stützen zu erschüttern und zu überwinden. Mit dem Roman "Münchhausen" setzte sich der Realismus gegen die romantische Kunsttheorie und ihre zahlreichen Produkte durch, entstand das Bindeglied zwischen den Romanen Goethes und der großen Realisten der folgenden Jahrzehnte, den Meisterwerken Gottfried Kellers und Theodor Fontanes. (Siegfried Seidel: Nachwort, in: Karl Leberecht Immermann: Münchhausen. Eine Geschichte in Arabesken. Leipzig 1968 (= Neue Epikon-Reihe), S. 1021-1022)

[1970] IMMERMANN's "Tulifäntchen" ist, wie alle "Däumlings"-Fabelchen, ein "Penide"; ein "abgelöster" und in Menschengestalt verselbständigter Penis. (Arno Schmidt, "Zettels Traum", 1970)

[1980] Immermann ist zu interessant, ja, in einem noch näher zu bestimmenden Sinne zu gewichtig, als daß ihn die Literaturgeschichte übergehen könnte. [...] Das poetische Narrenkostüm, in dem Immermann abtritt, darf uns nicht daran hindern, intensiver und sachgemäßer dieses großen, kritischen Publizisten zu gedenken und den zu immer größerer Bedeutung sich erhebenden Erzähler zu lesen und zu erforschen. (Friedrich Sengle, "Biedermeierzeit", Band 3, 1980, S. 815 und 886 f.)



(Für weitere Urteile über Immermann vgl. Winfried Hönes: Immermann-Splitter, in: Karl Immermann 1796-1840. Ausstellung zum 150. Todestag. Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf 1990)